Die Vorstufe der Scouts
Robert Baden-Powell war Stadtkommandant in der afrikanischen Stadt Mafeking. Während einer langen Belagerung der Stadt, bildete er junge Männer im spähen aus, um die Belagerungstruppe und die Umgebung auszukundschaften. Am Ende konnte er mit den Informationen der Späher die Stadt sinnvoll verteidigen und halten. Daraufhin schrieb er das Buch „Aids for scouting“.
In Großbritannien
In Robert Baden-Powells Heimatland Großbritannien begannen viele Jungen das spannende Buch über Scouting zu lesen. Da Bi-Pi fand, dass dies keine Lektüre für Kinder ist, schrieb er es um und gestaltete es jugendfreundlich. Er schrieb viel über Pflichterfüllung, Ritterlichkeit und Höflichkeit, Eigenverantwortung, Einsatz für die Gemeinschaft – und gegen Krieg und Gewalt. Das Buch nannte er „Scouting for boys“ und dies ist bis heute Grundlagenwerk für Pfadfinderarbeit auf der Welt.
Das Experiment
Baden-Powell verfolgte seine Theorie weiter, dass junge Menschen die Chance brauchen, sich auszuprobieren und sie lernen müssen, dass jeder Mensch gleichwertig ist. So versammelte er im August 1907 20 Jugendliche auf der Insel Brownsea (Nähe Poole, Southampton), die aus verschiedenen gesellschaftlichen Schichten kamen. Die Jugendlichen wurden in allen Fähigkeiten des Scouting ausgebildet und lernten dabei sich, ihre Fähigkeiten, Charakter und ihre Stärken kennen. Die gesellschaftlichen Unterschiede spielten dabei keine Rolle mehr. Das Experiment war geglückt und die „Scouts“ verselbstständigten sich.
Baden-Powell trat aus dem Militär aus und König Georg V übernahm die Schirmherrschaft über die „Boy Scouts“. Die erste Pfadfinderführerausbildung (Woodbadge-Ausbildung oder auch Gilwell-Ausbildung) fand 1921 im Gilwellpark in London statt.
Oben: Lord Baden-Powell of Gilwell, Deckblatt einer Neuauflage von „Scouting for boys“
Unten: Erstes Lager auf Brownsea Island
Rechts: Thomas am Gedenkstein auf Brownsea 2016
Deutschland – bis 1933
Der jüdische (später katholische) Arzt Dr. Alexander Lion findet das Buch Baden-Powells und trifft ihn kurz danach persönlich. Er übersetzt das Buch ins deutsche (1911) und erhält von Baden-Powell eine Pfadfinderlilie angesteckt. Alexander Lion ist der erste offizielle Pfadfinder in Deutschland. Lion erklärt u.a. in seinem Buch, warum es in Deutschland „Pfadfinder“ und nicht „Späher“ heißt:
„Scout bedeutet im Englischen den Späher und Kundschafter […] Es handelt sich bei Baden-Powell […] darum […] die Jugend zu Friedens-Scouts heranzubilden. Er versteht darunter z.B. die Vorkämpfer der Kultur, […] die an der Spitze der Zivilisation schreiten, ihr überall die Pfade bahnen, die also Pfadfinder im besten Sinne des Wortes sind.“
Zusammen mit mehreren anderen Ärzten, Lehrern, Sportlern und Offizieren gründet Alexander Lion den Deutschen Pfadfinder Bund (DPB), der bis zum Verbot durch die Nazis 1933 existiert. Entgegen Lions Wunsch übernahm der DPB das Schachbrett, welches Kaiser Wilhelm II. den Pfadfindern gestiftet hat. Erster Reichsfeldmeister (1. Vorsitzender) wurde Maximilian Bayer (gefallen in Frankreich). Nach dem Ersten Weltkrieg kam es zu ersten Annäherungen von Wandervögeln und Pfadfindern, was zur gegenseitigen Übernahme der jeweiligen Traditionen führte (siehe: unten).
Dr. Alexander Lion | „Das Pfadfinderbuch“ | Schachbrett des DPB 1911 |
Naziherrschaft 1933 – 1945
Alle Pfadfindergruppen und -verbände (zwischenzeitlich hat sich eine katholische und eine evangelische Pfadfinderschaft gegründet), Wandervögel und Jugenschaften wurden verboten und in die Hitler Jugend (HJ) zwangseingegliedert. Einige von den Älteren gingen mit Freuden in die HJ, andere wollten sie (etwas naiv) von innen herraus verändern und wieder andere gingen in den Widerstand (z.B. Die Edelweißpiraten, Geschwister Scholl und „Weiße Rose“, der Hitler-Attentäter Graf Claus Schenk von Staufenberg). Viele – auch im jugendlichen Alter – mussten ihren Einsatz gegen das Regime mit dem Leben bezahlen. Alexander Lion musste sich verstecken (jüdische Herkunft) und überlebte den Krieg.
Der Versuch der HJ in den Weltpfadfinderverband aufgenommen werden misslang. Baden-Powell sah in der HJ eine politische und rassistische Organisation, die das Werk der Pfadfinder zerstört.
Weitere Jugendbewegungen in Deutschland bis 1933
Der Wandervogel
Nach der Gründung des deutschen Kaiserreiches 1871 ritt die Bevölkerung auf einer nationalen Welle, die militaristisch geprägt war. Viele Jugendliche wollten sich diesem Zwang nicht unterordnen und suchten in der Natur, in Wanderungen und Volksliedern ihre FREIHEIT und Abstand zur starren Gesellschaft. Sie nannten sich Wandervogel. Ihr Vorbild für viele Lieder und die „heile Welt“ war die Epoche der Romantik.
Als sich im Jahr 1913 viele Menschen zum Jubiläum der Völkerschlacht bei Leipzig (1813) trafen, gingen die Wandervögel von der Burg Ludwigstein (https://www.burgludwigstein.de/) zum Berg Meißner und trafen sich dort als Gegenveranstaltung. Dort ist die Meißnerformel entstanden, die das Selbstverständnis der Jugendbewegung ausdrückt. Seit diesem Ereignis heißt der Berg „Hoher Meißner“. Die Formel lautet:
„Die Freideutsche Jugend will nach eigener Bestimmung, vor eigener Verantwortung, in innerer Wahrhaftigkeit ihr Leben gestalten. Für diese innere Freiheit tritt sie unter allen Umständen geschlossen ein. Zur gegenseitigen Verständigung werden Freideutsche Jugendtage abgehalten. Alle gemeinsamen Veranstaltungen der Freideutschen Jugend sind alkohol- und nikotinfrei.“
Zum 100jährigen Jubiläum des ersten Meißnertreffens wurde auf dem Hohen Meißner viel über die Rolle und die Stellung der Bünde under Jugend in unserer Gesellschaft diskutiert. Dabei wurde auch die Meißnerformel angepasst. Seit 2013 lautet sie nun:
„Die freideutsche Jugend will nach eigener Bestimmung, vor eigener Verantwortung, in innerer Wahrhaftigkeit ihr Leben gestalten.“
Wir auf Fahrt u.a. auf dem „Schneehagenweg“ von der Burg Ludwigstein zum Hohen Meißner (2014) |
Deutsche Jungenschaft
Aus dem Wandervogel ist Eberhard Köbel (bekannt als tusk) heraus gestochen. Er war der Meinung, dass die Jugend sich nicht unterordnen soll, sondern „auf ewig jung bleibend“ sich eine eigene Gesellschaft (Lebensbund, „bündisch“) aufbauen sollte. Um diese Ideen umzusetzen gründete tusk die Deutsche Jungenschaft vom 01. November 1929 (dj.1.11). Die Fahrten sind in dieser der einzig wahre Ausdruck eines freien Lebens (Fahrt kommt von ErFAHRung). Hier gab es auch andere Regeln z.B. in der Rechtschreibung. Alle Wörter wurde ohne Ausnahme klein geschrieben (auch Namen: tusk). Namen sind meist als Spitz- oder FAHRTENNAMEN mit Situationen verbunden und im täglichen Gebrauch. Es wird nicht „th“ sondern „ht“ geschrieben (z.B. Kohte). In der dj.1.11 kreierte tusk die Jugenschaftsjacke (JuJa) und brachte die Kohte (Lappland) und die Jurte (Mongolei) nach Deutschland. Diese drei Dinge werden heute in allen Organisationen und Bewegungen genutzt.
Deutschland 1945 – 1970er
Die alliierten Kontrollmächte in Deutschland hatten in ihren eigenen Ländern große Pfadfinderorganisationen, die ebenfalls Mitglied in den Weltverbänden WOSM und WAGGGS waren. 1946 gaben die Amerikaner Alexander Lion die Erlaubnis, die zerstreuten Pfadfinder und Wandervögel aufzurufen und mit Hilfe der Boy Scouts of America und später auch Scoutisme Francaise (Frankreich) die Deutschen Pfadfinder wieder aufzubauen. Die Pfadfinder waren die ersten Jugendgruppen, die in Deutschland wieder erlaubt waren!
Alexander Lions Aufruf folgten viele Pfadfinder und Wandervögel, die sich von ihren Grundsätzen her jedoch unterschieden und es darum zur Aufteilung in „scoutistische“ Pfadfinder „bündische“ Wandervögel kam. Dennoch haben sie sich gegenseitig beeinflusst und so spricht man auch heute bei Pfadfindern von „eher scoutistisch“ oder „eher bündisch“ geprägten Gruppen. (Carsten Niebuhr ist eine eher scoutistisch geprägte Gruppe in einem eher bündisch geprägten Landesverband).
Um den Neuanfang deutlich zu machen, wurde der alte Name DPB abgelegt und der neugeschaffene Pfadfinderbund Bund Deutscher Pfadfinder (BDP) genannt. Dieser erhielt nun auch die Lilie von Baden-Powell als Bundesabzeichen, welche in alter Tradition in die Form der Raute geformt wurde (Rautenlilie). Bereits 1947 waren Deutsche Pfadfinder als Gäste der Franzosen auf dem Jamboree in Frankreich. Ab 1949 wurden der überkonfessionelle BDP, die evangelische CPD und die katholische DPSG im Ring deutscher Pfadfinderverbände (RdP) als Dachverband zusammengeschlossen und 1950 in WOSM aufgenommen. (Die USA wollten nur EINEN überkonfessionellen Verband in Deutschland, die Franzosen bestanden jedoch auf einen überkonfessionellen DACHVERBAND mit Unterbünden, weil sie eine neue Art „Hitlerjugend“ fürchteten). Der Bund Deutscher Pfadfinderinnen (BDPinnen) existierte bereits seit 1913 und wurde „wieder gegründet“.
Die Rautenlilie des BDP, (Stellvertretendes) Kleeblatt für die BDPinnen
Deutschland seit 1970
Die gesellschaftlichen Umbrüche der 68er Revolution gingen auch an den Pfadfindern nicht vorbei. Der BDP begann sich zu politisieren und sollte deshalb aus WOSM ausgeschlossen werden. Dem kam der RdP (Nationaler Dachverband) zuvor, indem er sich auflöste und mit dem neugegründeten Bund der Pfadfinder (BdP) und dem zwischenzeitlich aus drei evangelischen Bünden entstandenen VCP (aus CPD, EMP, BCP) und der DPSG den RdP neu gründete und in WOSM aufgenommen wurde. Bei der Spaltung des BDP bildeten sich insgesamt drei Gruppierungen heraus: Der BDP (existiert bis heute, lehnt viele Merkmale der Pfadfinderei ab, betreibt linke Jugendarbeit und nennt sich Pfadfinderbund), der BdP (wir) und der Deutsche Pfadfinderverband (DPV, ehemals konservative Gegenströmung zum linken Flügel im BDP). Heute gibt es immer wieder Bestrebungen zwischen den Schwesterverbänden BdP und DPV zu fusionieren.
Bund Deutscher PfadfinderInnen (heute), DPSG, VCP
1976 fusionierte der BdP mit dem Bund Deutscher Pfadfinderinnen zum Bund der Pfadfinderinnen und Pfadfinder e.V. (BdP), unserem heutigen Bund. Als Zeichen der koedukativen Jugendarbeit wurden Rautenlilie und Kleeblatt im Bundeszeichen vereint (ähnlich wie beim VCP).
(Siehe dazu auch: Kluft, Abzeichen und Co.)
Deutschland 2016
2016 kam es zur offiziellen Gründung der BdP-Aufbaugruppe Carsten Niebuhr in Meldorf. Diese steht (siehe oben) in gerader Verbindung zum ersten deutschen Pfadfinder Alexander Lion. (Siehe auch: Chronik der Gruppe)
Wissenswertes
- Die pädagogischen Ideen Baden-Powells wurden von Kurt Hahn, dem „Vater der Erlebnispädagogik“, zum Großteil übernommen.
- Der Schweizer Pädagoge und Wissenschaftler Pierre Bovet schrieb das Buch „Baden-Powells geniale Idee oder Von dem, was man im Pfadfindertum erblicken sollte“ und brachte die Pfadfinderpädagogik in die Universität
- Der heute an den Universitäten gelehrte, handlungsorientierte Unterricht im Lehramtsstudium ist über Pierre Bovet von der Pfadfinderpädagogik beeinflusst.
- Auf der Weltbühne arbeitet WOSM mit dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen UNICEF zusammen.
Kurt Hahn Pierre Bovet (1925)